Sagen, Legenden, Erzählungen

Lebenslauf eines Optimisten
Ludwig Ganghofer ist sozusagen der Erfinder des deutschen Heimatromans. Viele seiner Werke sind sogar verfilmt worden. In Welden, wo er auch zur Schule gegangen ist, gibt es ein kleines Museum über ihn. In seiner Lebensgeschichte schreibt er auch über seine Heimat – das Augsburger Land:
Kommt man auf der schwäbischen Poststraße von Augsburg her, und fährt man an den alten Schlössern von Hamel und Aystetten vorüber, so versinkt die Straße in dunklen Fichtenwäldern, die fast kein Ende mehr nehmen wollen. Das ist der Adelsrieder Forst. In der Mitte des Waldes steht ein Kreuz; da wurde vor hundert Jahren eine Bäuerin mit ihrer Tochter von Wölfen zerrissen. Dann wieder Wald und Wald, bis die dunkelgrünen Schatten sich endlich öffnen zu einem hellen, hügeligen Wiesengelände.
Foto: Wißner-Verlag
An diesem Tor des Waldes sagte wohl mein Vater damals bei jener Winterreise zu der Mutter: „Schau, Lottchen, da fängt mein Revier an! Und vier Stunden braucht man bis zur anderen Grenze.“
Man fährt an dem Dorfe Kruichen, an dem Mühlweiler Ehgarten vorüber; und nach einem Stündchen, das nur vierzig Minuten hat, kommst du im schmalen Tal der Laugna nach Welden im Holzwinkel.
Das ist zu Winterszeiten keine gemütliche Landschaft. Aber der Frühling schüttet liebliche Schönheit über dieses stille Bachtal, das sich zu einem stundenweiten Rund von sanftgewellten Hügeln auseinanderdehnt. Ein dichtgeschlossener Kranz von Wäldern, in denen das strenge Nadelholz nur kleine Laubparzellen duldet, schließt sich als ein blaudunkler Wall um diesen Kessel dörflicher Kultur. Getreidefelder und Wiesen sind noch zahlreich von kleinen Gehölzen durchsetzt, die in der Nähe der Häuser zusammenfließen mit den Weißdornhecken und den blühenden Obstbäumen der Gärten. Heute ist Welden eine stattliche Ortschaft mit Eisenbahn und Telegraph. Damals in meiner Kindheit, vor 48 Jahren, war’s ein Dorf mit 800 Seelen wie der Pfarrer zu sagen pflegte; und der Postbote musste täglich drei Stunden weit nach Zusmarshausen laufen, um die vier Zeitungen und die sieben Briefe zu holen. Einmal in der Woche fuhr ein Bote, der Stanger, mit seinem langen Blachenwagen nach Augsburg hinein und brachte, was man im „Botebüchle“ bei ihm bestellte. Das war die Verbindung des Holzwinkels mit der großen Welt.

Die Sage vom Bobinger Büble
Das Bobinger Büble ist stadtbekannt, schließlich sitzt es aus Stein gehauen an der großen Straßenkreuzung und wischt sich mit dem Finger die Nase ab. Was es damit auf sich hat? Nun, da wird folgende alte Geschichte erzählt:
Vor langer Zeit war ein Bursche von Bobingen vor Gericht geladen. Der Beklagte wandte sich an einen bekannten Rechtsanwalt aus Augsburg. Dieser riet dem Bobinger, sich vor Gericht einfältig und dumm zu stellen und auf jede Frage des Richters nur zu antworten: „So geht’s Bobingen zu“. Dabei solle er sich mit der Hand unter der Nase entlangfahren. Er tat genau, wie ihm geraten war, sodass der Richter voller Mitleid den armen Tölpel freisprach. Nach einiger Zeit kam der Bobinger zum Einkaufen nach Augsburg und begegnete dem Advokaten, der ihn an sein Honorar von zwei Talern erinnerte. Das wollte der sparsame Bobinger nun aber gar nicht bezahlen und probierte flugs das bewährte Rezept aus: „So geht’s Bobingen zu“, sagte er, strich den Finger unter der Nase entlang und ließ den verblüfften Anwalt auf der Gasse stehen.
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Das Herrgöttle von Biberbach
Der furchtbare 30-jährige Krieg ließ auch unser Land nicht verschont. Wilde Horden zerstörten alles, was den Menschen heilig war. So fand ein Fuhrmann, der auf dem Weg von Wehringen nach Augsburg war, auf dem Misthaufen am Straßenrand ein heruntergerissenes Kruzifix. Dem Kutscher tat es in der Seele weh, dass das Bildnis seines Erlösers so entweiht worden war, hob es auf und legte es zu seiner Fuhre. Als er in Biberbach den Berg hinauffuhr, wollten die Pferde plötzlich nicht mehr weiterziehen. Auch andere Pferde, die man vorspannte, rührten sich nicht von der Stelle. Erst, als das Kreuz abgeladen wurde, konnte der Wagen ungehindert weiterfahren. Das Kruzifix wurde in der nahen Kirche aufgestellt, denn schließlich hatte es ja deutlich kundgetan: „Hier will ich bleiben“. Das „Herrgöttle von Biberbach“, wie man es nun nannte, wurde bald zum Ziel von Wallfahrten.
Bild: Wißner-Verlag
Wenn du mal dringend eine gute Idee brauchst, kannst du das Herrgöttle auch von unterwegs um Hilfe bitten:
„Liabs Herrgöttle von Biberbach
schlag ra,
schlag grad ra,
schlag bolzegrad ra.“
Pass gut auf, bald bekommst du den Geistesblitz!
Der Schwarze Reiter
Als der „Alte Fritz“ im Jahr 1763 nach dem Siebenjährigen Krieg Frieden geschlossen hatte, entließ er einen großen Teil seiner Soldaten. Einer war der Reiter Georg Platzer, der wegen besonderer Verdienste sogar sein treues Pferd mitnehmen durfte. So ritt er nun von Schlesien in seine schwäbische Heimat zurück, die er vor Jahren aus Liebeskummer verlassen hatte. Seine geliebte Luise war nämlich die Tochter eines reichen Gutsbesitzers und die durfte er als armer Müllerbursche nun mal nicht heiraten. Als er bei Augsburg den Weg durch den Rauen Forst nehmen wollte, wurde er vor einer Räuberbande gewarnt: Niemand traue sich ohne Schutz in das wilde Waldgebiet. Georg lachte und verwies darauf, dass er im Krieg das Fürchten längst verlernt habe.

Doch im Dunkel des dichten Waldes kam er vom Weg ab und irrte nun schon den zweiten Tag mühsam umher. Zur Nacht machte er sich ein Feuerchen und fiel vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf. Es mag gegen Morgen gewesen sein, als er von einem leisen Schnauben erwachte. Etwas Feuchtes glitt über seine Wange. Im gleichen Moment war er munter – sein treues Pferd hatte ihn gewarnt. Vom Feuer war nur noch Glut übrig, aber es hatte wohl ausgereicht, jemandem den Weg hierher zu weisen. Rasch hob er ein paar Zweige auf, legte sie zusammen und warf seine Decke darüber. Dann versteckte er sich gerade noch rechtzeitig unter einem umgestürzten Baum. „Ich schlage ihn tot und ihr beide fangt das Pferd!“, zischte eine raue Stimme. Im fahlen Morgenlicht sah Georg, wie eine Gestalt mit erhobener Keule zur Feuerstelle schlich, während sich zwei andere von hinten dem Pferd näherten. Als der Bandit mit aller Wucht die Keule auf die Decke schlug, ging der Tanz los. Ein kurzer Pfiff – das Pferd schlug aus, und den beiden Räubern verging Hören und Sehen. Ehe sich der Dritte versah, war Georg schon bei ihm und hieb ihm den Knauf seines Degens über den Schädel. Nachdem er die drei gefesselt und an eine lange Leine gelegt hatte, hörte er von Ferne Glockengeläut. Nun wusste er, in welche Richtung er reiten musste, und erreichte nach kurzer Zeit Horgau. Dort gab er die Gefangenen ab. Als man erkannte, dass es die berüchtigte Räuberbande war, bekam Georg eine hohe Belohnung.
So nahm die Geschichte ein gutes Ende: Als gefeierter Held und mit der Belohnung war er nun für den Gutsbesitzer gut genug – und bekam seine geliebte Luise. Eine Gedenktafel im Rauen Forst erinnert heute noch an ihn.
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Ein Zungenbrecher
Der Bobinger Babybiberbeauftragte besucht das Biberbacher Biberbachbiberbaby.
(Einen Bobinger Biberbeauftragten gibt es wirklich!)

Das Gelöbnis
Regina von Imhof, die Witwe des Augsburger Bürgermeisters Raimund von Imhof, wohnte lieber auf ihrem Schloss in Untermeitingen als in der Stadt. An einem Spätsommertag im Jahr 1602 rollte ihre Kutsche wieder einmal zum Gögginger Tor hinaus. Schon bald zogen vom Lech graue Nebelschwaden herauf und der Fuhrmann trieb deshalb die Rosse zu rascherem Lauf an. Nach etwa einer Stunde bemerkte er, dass er im dicken Nebel den Weg verloren hatte. Er lenkte die Rosse bald weiter nach links, dann wieder nach rechts, doch er konnte den Weg nicht mehr finden. Die verängstigte Frau im Wagen sah durch die kleinen Fenster nichts als die unheimlichen Nebelschwaden. Zudem wurde es immer dämmriger. Da wandte sich die fromme Regina zu Gott und gelobte, an der Stelle, von der aus wieder der rechte Weg gefunden sei, ein Kirchlein erbauen zu lassen. Ihr Gebet wurde schon bald erhört. Es dauerte nicht mehr lange und die Nebelschwaden verschwanden im aufkommenden Wind und die Lichter des nahen Schlosses schimmerten herüber. Mit dankerfülltem Herzen befahl sie dem Fuhrmann, seinen Peitschenstock als Merkzeichen in den Boden zu stecken. Schon im nächsten Frühjahr löste Regina ihr Versprechen ein und ließ eine Kapelle erbauen. Sie wurde der Grundstock der heutigen Wallfahrtskirche Maria Hilf in Klosterlechfeld.
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